Rechter Terror in Hanau im Jahr 2020: Die rassistischen Morde folgten den Verschwörungserzählungen und Gewaltfantasien
Vier Monate nach dem extrem rechten Attentat von Halle ereignete sich im hessischen Hanau eine weitere rassistische Mordserie, der zehn Menschen zum Opfer fielen. Sieben weitere wurden verletzt. Die Tat ereignete sich am 19. Februar 2020. Der Name des Täters soll hier bewusst nicht genannt werden, die Namen der mehrheitlich in Hanau geborenen Todesopfer sehr wohl:
Said Nesar Hashemi, 21 Jahre, geboren in Hanau – Hamza Kenan Kurtović, 22 Jahre, geboren in Hanau – Vili Viorel Păun, ebenfalls 22 Jahre, – Ferhat Unvar, 23 Jahre, geboren in Hanau – Sedat Gürbüz, 29, geboren in Langen, aufgewachsen in Dietzenbach – Fatih Saraçoğlu, 34 Jahre alt – Gökhan Gültekin, Spitzname „Gogo“, 37 Jahre, geborener Hanauer, seine Hochzeit stand kurz bevor – Mercedes Kierpacz, 35 Jahre alt, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern – Kaloyan Velkov, 33, Vater eines siebenjährigen Sohnes. Nach dem Blutbad brachte der Täter seine Mutter um und beging Selbstmord. Die Tatorte waren unter anderem eine Shisha-Bar im Hanauer Stadtzentrum und ein Kiosk-Café am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau-Kesselstadt.1 Die meisten Opfer haben bereits in jungen Jahren erfolgreich Ausbildungen absolviert. Sie waren Fliesenleger, Lkw-Fahrer, Teilhaber einer Shisha-Bar, ausgebildete Maschinen- und Anlagenführer, Mitarbeiterinnen in einem Kiosk, ausgebildete Fachlageristen, Paketzusteller, Betreuer der eigenen Eltern, ausgebildete Anlagenmechaniker, Mütter, Väter, Kinder, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten, Cousinen oder Cousins. Sie waren katholischen, orthodoxen und muslimischen Glaubens.2 Die im Internet veröffentlichten Vernichtungsfantasien des Täters richteten sich unter anderem gegen Menschen aus muslimischen Ländern, aber auch gegen israelische Bürgerinnen und Bürger. Für den ehemaligen BWL-Studenten und Sportschützen sollten zahlreiche „Völker“ (…) „komplett vernichtet“3 werden. Hierzu gehörten Menschen aus nordafrikanischen und nahöstlichen Staaten inklusive Israel, sowie Menschen aus vielen asiatischen Ländern, darunter Indien. Daneben forderte er eine „Fein-Säuberung“ im Rest der Welt, denn selbst in Deutschland sei nicht jeder „reinrassig und wertvoll“.4 Der Täter verbreitete daneben auch Teile des antisemitischen QAnon-Verschwörungsmythos, der unter anderem die Idee propagiert, Amerika werde „von geheimen Mächten“ beherrscht.5 Neben dem Hass auf vermeintliche MigrantInnen hatten der Attentäter von Hanau und der von Halle eines gemeinsam: Sie glaubten an rechtsgerichtete Verschwörungsideologien. Diese dringen im Zuge der Corona-Pandemie zunehmend in die Mitte der Gesellschaft vor.
„DIE OPFER WAREN KEINE FREMDEN“
Wer den Statements der Angehörigen und Überlebenden des rassistischen Terrors zuhört, kommt zu folgendem Ergebnis: Für die meisten der in Hanau Ermordeten war diese Stadt ihre Heimat. Viele Opfer und teilweise auch deren Eltern sind in Hanau geboren. Sie wollten und wollen als Teil der Hanauer Stadtgesellschaft anerkannt werden und nicht als so genannte „Menschen mit Migrationshintergrund“. Dieser Terminus schiebt Menschen, die Teil der Gesellschaft sind, in eine vermeintliche Außenseiter-Position und gehört deswegen aus unserem Sprachgebrauch verbannt. Unter dem Motto „Die Opfer waren keine Fremden“ fanden in Hanau unmittelbar nach den Mordanschlägen zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt, an denen sich tausende Menschen beteiligten. Angehörige der Ermordeten sprachen auch auf der offiziellen Gedenkveranstaltung am 4. März 2020 in der Stadthalle Hanau.6
VIELE FRAGEN UNGEKLÄRT, ZUM BEISPIEL: WARUM HAT MAN NICHT AUF DIE SCHREIBEN DES TÄTERS AN DIE BEHÖRDEN REAGIERT?
Für die Angehörigen der Ermordeten sind auch eineinhalb Jahre nach der Tat viele Fragen ungeklärt. Warum war der polizeiliche Notruf in der Tatnacht nicht erreichbar? Warum war der Fluchtweg in der Arena-Bar verschlossen? Warum durfte der Täter ganz legal einen Waffenschein besitzen? Warum hat man nicht auf die Schreiben des Täters an die Behörden reagiert? Welche Konsequenzen haben rassistische und rechtsradikale Umtriebe innerhalb der Polizei? Welche Rolle spielten Polizeibeamte des Frankfurter SEK, die wegen rechtsextremer Chatgruppen vom Dienst suspendiert wurden, in der Tatnacht in Hanau?9 Warum hat man dem Vater eines Mordopfers einen Dolmetscher geschickt, obwohl er in Schweinfurt geboren wurde? Armin Kurtović berichtete in dem Gespräch mit Birgit Mair von den traumatischen Erlebnissen der Tatnacht. Die Tatsache, dass der Leichnam des Opfers ohne Kenntnis der Eltern obduziert wurde, belastet ihn bis heute schwer. Auch kritisierte er rassistische Zuschreibungen, die er in Behördenakten über seinen Sohn lesen musste. Herr Kurtović ist davon überzeugt, dass der Täter nicht im luftleeren Raum gehandelt hat. Ob ein bereits beschlossener Untersuchungsausschuss die Fragen der Angehörigen beantworten kann, wird sich zeigen.11