Extrem rechte und rechtsoffene Gruppen und Aktivitäten in Bayern — Ein Überblick
Ein Blick in die Nachkriegsgeschichte
Für die einen war der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung vom menschenverachtenden und massenmörderischen NS-Regime, für die anderen eine historische Schmach und Niederlage. In der NS-Zeit aktive NationalsozialistInnen tauchten kurz unter, prüften die gesellschaftliche Stimmung und versuchten, wieder aktiv zu werden. Zugute kam ihnen, dass die gesellschaftliche und juristische Aufarbeitung der NS-Herrschaft und der NS-Verbrechen nach anfänglichen Anstrengungen ins Stocken geriet. Im Zuge der Ost-West-Blockbildung änderten auch die für Bayern zuständigen westlichen Besatzungsmächte ihre Strategie und bekämpften nationalsozialistische Bestrebungen und Verbrechen nur mehr halbherzig. Viele Nazis wechselten, wie man heute weiß, nach oberflächlicher „Entnazifizierung“ in die Verwaltungen und Sicherheitsorgane des neuen Staates. Sie arbeiteten unter anderem als RichterInnen, SchulleiterInnen, Polizeibeamtinnen und in den Geheimdiensten.1 Hans Globke zum Beispiel, ein Kommentator der rassistischen „Nürnberger Gesetze“, bekleidete unter Konrad Adenauer hohe Posten im Bundeskanzleramt.2 Parallele Entwicklungen in der Mehrheitsgesellschaft begünstigten den Wiederaufbau der extrem Rechten: Vom Holocaust, dem Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, wollte man nichts wissen oder gab vor, nichts gewusst zu haben.3 Man fühlte sich als Kriegsopfer und nicht als Täterin oder Mitwisserin. Alte „HeldInnen“ wurden immer noch oder erneut verehrt.
Kein Mensch wird als Neonazi geboren — extrem rechte Traditionen
Zahlreiche extrem rechte Parteien und Gruppierungen wurden gegründet und wirkten in Bayern. Teilweise wurden sie auch verboten, aufgelöst oder umgestaltet. Nationalsozialistische Milieus hielten sich mancherorts noch jahrzehntelang, zumindest in Ansätzen.4 Mittelfranken zum Beispiel war noch bis Ende der 1980er Jahre eine Hochburg der extremen Rechten bei Wahlen. So erzielten NPD und später Republikaner dort ihre Spitzenergebnisse, wo die NSDAP bereits vor 1933 bei freien Wahlen stark war. 5 Verschiedene politische und Gedenk-Konjunkturen machten es den alten und neuen Nazis mal schwerer, mal leichter. Kinder wuchsen zum Teil in Familien auf, die nach wie vor nationalsozialistisch gesinnt waren. Bereits 1952 wurde eine neonazistische Kinder- und Jugendorganisation, die „Wiking-Jugend“, gegründet. Diese unverhohlene Nachfolgegruppierung entsprechender NS-Organisationen konnte jahrzehntelang wirken und wurde erst 1994 verboten. Nachfolgeorganisationen sind teilweise bis in die Gegenwart aktiv.6 Nationalsozialistische Mythen und Propaganda wurden nicht selten ungebrochen im familiären Rahmen weitertradiert. „Opa war kein Nazi“ – seine Erzählungen und Geschichtsdeutungen wurden von Kindern und Enkeln übernommen und weiterverbreitet.7
Verbote sind wichtig, können das Problem aber nicht lösen
Seit dem Kriegsende bis zum heutigen Tag wurden bundesweit mehr als achtzig extrem rechte Organisationen verboten, einige davon auch in Bayern.8 Neonazis gründeten in der Folge vielfach neue Organisationen oder schlossen sich nicht-verbotenen Vereinigungen an. Beispiel: Neonazis der 2004 verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (F.A.F.) engagierten sich in der Folgezeit in der bayerischen NPD. Später gründeten sie das „Freie Netz Süd“ (FNS), das zehn Jahre später als Nachfolgeorganisation der F.A.F. ebenfalls verboten wurde. Viele der ehemaligen AktivistInnen des FNS sind heute in der neuen Neonazipartei „Der Dritte Weg“ aktiv. Mit Verboten kann man die rechte Szene zwar schwächen, deren Aktivitäten aber nicht verhindern.
Extrem Rechte und rechtsoffene Strömungen in Bayern
Auch in den vergangenen Jahren waren extrem rechte Gruppierungen in Bayern aktiv. Es wurden Demonstrationen, Parteitage, Konzerte und Sonnwendfeiern organisiert, eigene Immobilien genutzt, Versandhandelsunternehmen betrieben, Zeitungen und Bücher herausgegeben, unzählige Internetblogs erstellt sowie politische Schulungen und Saalveranstaltungen durchgeführt. Außerdem wurde über diverse Spenden-Plattformen Geld gesammelt. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) verdrängte vielerorts die in den Kommunalparlamenten vertretenen rechten Abgeordneten der „Republikaner“ und der NPD-Tarnlisten namens „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ (BIA). 2018 zog die AfD in den bayerischen Landtag ein und versuchte dort, Propaganda gegen MigrantInnen und die demokratische Zivilgesellschaft zu machen. Die Partei nutzte Parlamentsreden und parlamentarische Anfragen, um ihre Themen entsprechend in den Fokus zu rücken.9
Von neonazistisch bis rassistisch: Extrem Rechte Parteien und Organisationen in Bayern
NPD: die älteste neonazistische Partei
Die NPD war 2021 in Bayern mit 31 Kreisverbänden flächendeckend vertreten und besteht als älteste neonazistische Partei seit über fünfzig Jahren. Wahlerfolge über fünf Prozent konnte sie in Bayern zwar nur in ihrer Anfangszeit erzielen – 1967 zogen fünfzehn NPD-Abgeordnete in den Bayerischen Landtag ein – doch blieb die NPD trotz niedriger Wahlergebnisse auch in Bayern über Jahrzehnte die bedeutendste Neonazi-Partei.11 Zwei Verbotsverfahren gegen die Partei scheiterten. Im Jahr 2003 lehnte das Bundesverfassungsgericht ein NPD-Verbot ab, weil unklar war, „welche Aktivitäten von der Partei selbst und welche vom Verfassungsschutz initiiert worden waren“.12 2017 schätzte das höchste deutsche Gericht die NPD als irrelevant und damit für den demokratischen Staat ungefährlich ein. 13 Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die Partei nur noch 0,1 Prozent der Zweitstimmen. Damit verlor sie die staatliche Teilfinanzierung. 14
Der III. Weg: eine aktivistische Neonazi-Kaderpartei
2013 wurde die neonazistische Partei „Der III. Weg“ („Der Dritte Weg“) gegründet. Regionale „Stützpunkte“ existieren seitdem auch in Bayern. Der III. Weg ist eine nationalrevolutionär ausgerichtete, kleine Kaderpartei, die seit ihrer Gründung auch in Bayern kontinuierlich aktiv war. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die Partei deutlich weniger Stimmen als die NPD. Fast die Hälfte der bundesweit nur 7.830 abgegebenen Zweitstimmen für den III. Weg kamen aus Bayern. 16
Jährlich im Herbst finden im oberfränkischen Wunsiedel martialisch inszenierte Fackelmärsche der Neonazi-Partei statt. Während in der dortigen Provinz in den letzten Jahren kaum druckvoller Gegenprotest in Hör- und Sichtweite stattfand, war der antifaschistische Widerstand an verschiedenen Maifeiertagen (z.B. Nürnberg 2008, Schweinfurt 2010) gegen die gewerkschaftsfeindlichen und pseudosozialistischen Kundgebungen der Hardcore-Rechten deutlicher zu spüren. In der Folge verlagerte der III. Weg seine 1.-Mai-Demonstrationen zunehmend in ostdeutsche Bundesländer. In Bayern fanden dennoch regelmäßig Flugblattverteilungen statt, mal gegen Geflüchtete, mal gegen die „Kinderlosigkeit“, die angeblich zum „Volkstod“ führe. Dieser sei nur zu verhindern durch „eine konsequente Förderung von kinderreichen deutschen Familien“. 17
Von Telegram, Twitter, VK bis Spreaker bedient sich die Partei verschiedener Möglichkeiten der Propaganda via Internet. Eine eigene Radiosendung präsentiert neben Interviews mit ausländischen Neonazis auch völkisch-nationalistische Musik. Körperliche Abhärtung wird durch organisierte 40-Kilometer-Märsche samt Urkundenverteilung, Kampfsportübungen sowie die Teilnahme an Boxkämpfen betrieben. So präsentierte sich im Jahr 2018 ein bayerischer „Stützpunktleiter“ der Partei als „Sieger“ des Turniers „Kampf der Nibelungen“ (KDN). 18
Rechte Terrorbestrebungen in Bayern
Oldschool Society, Weisse Wölfe Terrorcrew, Feuerkrieg-Division
Als Reaktion auf die großen Fluchtbewegungen des Jahres 2015 nach Westeuropa formierten sich in Deutschland neue rechte Terrorgruppen. Drei Beispiele aus Bayern: Die „Oldschool Society“ (OSS) plante Sprengstoffanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten. 19 Im März 2017 sprach das Oberlandesgericht München mehrjährige Haftstrafen gegen einige OSS-Mitglieder aus. 20 Ähnliche Anschlagspläne verfolgte die „Weiße Wölfe Terrorcrew“. 21 Der 2016 verbotenen Organisation gehörten auch Neonazis aus dem Umfeld der Partei „Die Rechte“ aus Oberfranken an. 22 An der international vernetzten extrem rechten Terrorgruppe „Feuerkrieg-Division“ beteiligte sich unter anderem ein junger Mann aus der Oberpfalz, der 2020 vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth stand und zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde.23 Die Organisation, die sich in Chatgruppen ausgetauscht hatte, plante Anschläge gegen Jüdinnen und Juden und Muslime. 24
Kontakte nach Bayern: die Gruppe S.
Eine weitere rechte Terrorgruppe mit Kontakten nach Bayern war die nach ihrem Anführer Werner S. benannte „Gruppe S.“. In der Organisation fanden sich vom Neonazi bis zum AfD-Sympathisanten mehr als zehn Menschen aus verschiedenen Bundesländern zusammen, die in einer Internet-Chatgruppe sowie bei persönlichen Treffen Anschläge auf Moscheen, PolitikerInnen und MigrantInnen verabredeten. 27 Mitglieder der Gruppe waren unter anderem bei der bayerischen Neonazi-Gruppierung „Wodans Erben Germanien“ aktiv. 28 Das Gerichtsverfahren gegen zwölf mutmaßliche AktivistInnen der „Gruppe S.“ begann im April 2021 vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart. 29
Shoppingtour quer durch Bayern
Vom schwäbischen Bad Grönenbach aus wird der Versandhandel „Oldschool Records“ betrieben. Über den Online-Shop konnte im Jahr 2021 unter anderem erworben werden: Eine CD mit dem Titel „Blutrein - Überlebenskampf“, Fanzines mit der Aufschrift „N.S. Heute“, eine Fahne mit der Aufschrift „Rock against communism“ und die in der rechten Szene beliebte Reichskriegsflagge sowie CDs der Bands „Lunikoff“ und „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“.
In Murnau existiert bereits seit längerer Zeit der Szeneladen „Versand der Bewegung“. Von rassistischer Musik des Liedermachers Frank Rennicke bis zum sexistischen Tangaslip für Frauen mit der Aufschrift „Deutsches Reichsgebiet“ war dort im Jahr 2021 vieles erhältlich. Der „Wikingerversand“ im niederbayerischen Geiselhöring bietet neben einer Schürze mit der Aufschrift „Reichsgrill-meister Adolf“ auch einen Aufkleber mit dem ehemals von der SS verwendeten Symbol der „Schwarzen Sonne“ an. Für Babys gab es ein Lätzchen mit Thorhammer-Motiv. Auf der Boxershort für Männer prangte neben einem Spermium die Aufschrift „White power“. Über die Internetseite der AfD Bayern wurde auf eine Fanshopseite der rechten Partei verlinkt, auf der man im Jahr 2021 neben Büchern über den „radikalen Kapitalismus“ oder „Die große Verschwulung“ auch ein Flugblatt mit der Aufschrift „Antifa: Verbieten statt verhätscheln“ bestellen konnte. Dies ist eine Verdrehung der Tatsachen, denn AntifaschistInnen werden in Deutschland keineswegs verhätschelt.
AFD, PEGIDA, BPE & CO: VÖLKISCHER NATIONALISMUS HAND IN HAND
Im Herbst 2014 begann in Dresden unter der Bezeichnung „Pegida“ („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) eine bundesweite rassistische Demonstrationsserie. Während in der sächsischen Landeshauptstadt zeitweise mehr als 10.000 AnhängerInnen auf der Straße waren, lockten die rechten „Spaziergänge“ in Bayern ein wesentlich kleineres Publikum an. In Würzburg schliefen die Pegida-Demonstrationen bereits im Laufe des Jahres 2015 ein. Die einschlägigen Hetzveranstaltungen in München, Nürnberg, Fürth und vereinzelt auch andernorts wurden noch bis 2017/2018 unter dem Label „Pegida“ fortgesetzt. Im Zeitraum von drei Jahren fanden in den zuletzt genannten Städten mehr als einhundertfünfzig Pegida-Straßenveranstaltungen statt. Regelmäßige Gegenproteste reduzierten die Teilnehmerzahlen im Laufe der Zeit jedoch deutlich, so dass jeweils nur noch ein paar Dutzend RassistInnen auf die Straße gingen. 31 In der Folgezeit fanden eher vereinzelt islamfeindliche Kundgebungen mit dem bundesweit aktiven antiislamischen Agitator Michael Stürzenberger unter dem harmlos klingenden Label „Bürgerinitiative Pax Europa“ (BPE) statt. Wie bei der sich seit ihrer Gründung im Jahr 2013 immer mehr in eine völkisch-nationalistische Richtung entwickelnde „Alternative für Deutschland“ (AfD) waren auch bei Pegida die Sündenböcke für soziale Ungerechtigkeiten schnell ausgemacht: Geflüchtete, Muslime, Linke, die „Lügenpresse“, die „Altparteien“ und insbesondere die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ein öffentlichkeitswirksamer Startpunkt für die neuen völkischen und rassistischen Bewegungen war nicht zuletzt der 2010 erschienene Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. In der Folge gewannen rechtsradikale Strömungen jenseits der Neonaziszene im engeren Sinn deutlich an Einfluss auf die öffentliche Debatte, etwa die gar nicht so neue „Neue Rechte“. 33 Im Kielwasser dieser Entwicklungen nahmen neonazistische Aktivitäten und Gewaltaktionen gegen Geflüchtete wieder zu. Spätestens mit den Wahlerfolgen der AfD formierte sich in den letzten Jahren eine rechte, teilweise völkisch-nationalistisch ausgerichtete soziale Bewegung, deren VertreterInnen sich mehr aufeinander beziehen und weniger voneinander abgrenzen als früher.